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Der Ortsname “Pézenas” leitet sich vom lateinischen Piscenae ab und hängt zudem mit dem Flüsschen La Peyne zusammen. Im
Okzitanischen, der alten gallo-römischen Regionalsprache heißt es "Pesenaç". Auf Ihren Streifzügen durch das Languedoc mit dem Val
d'Hérault in seiner Mitte werden Ihnen immer wieder Ortsschilder und Tafeln begegnen, auf denen Sie neben dem französischen Namen
auch den okzitanischen Begriff abgebildet finden. - In Pézenas selbst gibt es Schulen, in denen die alte Sprache als Unterrichtsfach gelehrt
wird.
Pézenas war im 16. und 17. Jahrhundert Sitz der Regierung und Residenz des Gouverneurs des Languedoc. Um 1650 herum machte
Armand de Bourbon, Fürst von Conti, Pézenas dem Volksmund nach zum sogenannten "Versailles des Languedoc", was sich natürlich auf
Prunk und Hofstaat bezog und nicht etwa auf die Architektur. - Höhepunkt der Stadtgeschichte, welche man getrost als recht bewegt
bezeichnen darf ...
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PÉZENAS - Mitten im Herzen des Languedoc
Um das Jahr 1000 herum kamen Ackerbau und Viehzucht im Val d'Hérault fühlbar in Schwung. Die Gründe hierfür
finden sich in den äusseren Bedingungen. Der Basaltstrom des nahe Bessan gelegenen erloschenen Vulkans bot
in den Zuflusssenken des Hérault nicht nur ideales Weideland, sondern lieferte auch das Baumaterial für Kalköfen
zur Herstellung einer Kalkasche aus dem in der Region ansonsten überreich vorhandenen Kalkstein, welche als
Dünger den Ackerboden besonders fruchtbar machte.
Neue Weiler entstanden in der Form von Zirkuladen (Runddörfer in 'Wagenburgbauweise' um die Kirche herum /
Bild links) mit den bereits bestehenden Orten Montagnac und Pézenas als Marktflecken. Diese Entwicklung
machte Pézenas nach und nach zu einem Ort des Handels und des Handwerks. Pézenas wurde zur Stadt.
Während des 12. und 13. Jahrhunderts verbreitete sich in der Region - wie in ganz Okzitanien - die Bewegung
der Katharer (wörtlich: die 'Reinen') und nahm dabei einen prägenden Einfluss auf die Lebensweise der
Menschen. Im Kern besagte die Lehre der Katharer, dass die Welt eine Dualistische sei, in der sich das Böse im
materiell Irdischen befand und das Gute im göttlich Himmlischen. Das Gute in der Seele des Menschen sollte
danach streben dem Himmlischen näher zu kommen. In der praktischen Theologie befolgten die Gemeinden der
Katharer einen umfangreichen Verhaltens- wie Glaubenscodex und lehnten beispielsweise auch das alte
Testament ab, welches den Schöpfergott einer bösen Welt beschrieb (Parallelen zum späteren Protestantismus
sind unverkennbar). Dies ging soweit, dass die Katharer gegen das Irdische befestigte Klöster auf den höchsten
ihnen erreichbaren Gipfeln errichteten, um dem Himmel näher zu kommen (insbesondere in den Pyrenäen). Die
Katharer wurden von der Inquisition der Häresie beschuldigt und, beginnend mit dem Albigenserkreuzzug (1209),
blutig verfolgt bis sie schliesslich zu Beginn des 14. Jahundert besiegt waren. Die spätere Bezeichnung "Ketzer"
geht auf sie zurück. Wohl zu Unrecht.
Im 13. Jahrhundert geschah etwas, das die Stadtgeschichte von Pézenas für die folgenden Jahrhunderte
richtungsweisend beeinflusste. Der Kapetinger König Louis IX, genannt der Heilige, erholte sich von der Malaria
und löste im Jahre 1248 sein Gelübde zum Kreuzzug ein. Hierfür sammelte er sein Kreuzfahrerheer im Val
d'Hérault und nahm selbst den Sommer über Quartier in Pézenas. Diese Wahl, zur damaligen Zeit weit entfernt
von dem Einschiffungshafen Aigues-Mortes, hing gewiss mit der günstigen Versorgungslage zusammen, aber wohl
auch damit, dass der Templerorden schon damals bereits eine bedeutende Niederlassung in Pézenas (gegenüber
der Kirche St.-Jean) unterhielt.
Louis, welcher später neben Jeanne d'Arc als wichtigster Nationalheiliger Frankreichs verehrt wurde, war sehr
angetan von der Unterstützung der "Piscénois" (Einwohner von Pézenas) für ihren König und sein Vorhaben. Er
ernannte Pézenas zur Königsstadt und sprach ihr damit verbundene herausragende Rechte zu. Das hatte Folgen.
Montagnac und Pézenas erhielten für gewisse Produkte das alleinige Marktrecht und Pézenas wurde zudem über
Jahrhunderte hinaus zum Sitz der Ständeversammlung. Es brach eine lang anhaltende Zeit der Blüte an. Große
Handelshäuser und Handwerksbetriebe entstanden, welche nicht nur die regionalen Produkte umschlugen,
sondern vor allem auch die exotischen internationalen Waren jener Zeit aus dem Orient und den maurischen
Gebieten Hispaniens. Bis zum Ende dieser Periode im ausgehenden 17. Jahrhundert sind der innere und äußere
Altstadtkern auf natürliche Weise angewachsen, wie Sie sie noch heute praktisch unverändert erleben (dies
macht den Ort - obwohl eher klein - in unserer Zeit so besonders!!).
Die Geschichte von Louis IX und seiner Liebe zu Pézenas findet in der Chronik der Stadt ihren Ausdruck in der
Legende des "Poulain de Pézenas" (Fohlen von Pézenas), welches als Symboltier dem immateriellen
Weltkulturerbe der UNESCO angehört. Es geht dabei um das Lieblingspferd des Königs, welches für die Zeit des
Kreuzzuges in die Obhut der Stadt gegeben wird. Nach seiner Rückkehr schenkt der König der Stadt das
zwischenzeitlich geborene Fohlen, weil diese so gut Sorge für des Königs große Liebe getragen hat. Dieses Fohlen
seinerseits rettet eine arme Wäscherin aus den Fluten des Hérault und verhilft einer unsterblichen Liebe zu ihrem
Glück. - Die Legende drückt mittels dieser Bilder im Stil einer Fabel die immer währende Verbundenheit der Stadt
mit dem König aus.
Bitte lesen Sie dazu auch die Erfahrungen, welche "Zugereiste" in jüngerer Zeit mit dem Erscheinen des Fohlens
gemacht haben:
Poulain_Büchlein.pdf (beidseitig ausdrucken und in der Mitte falzen. Zunächst die Seiten 1/3/5/7, dann je
nachdem um 180 Grad im Papierschacht gedreht oder mit in umgekehrter Reihenfolge eingelegten Blättern
2/4/6/8).
Als am 13. Oktober 1307 die Templer auf einen Schlag durch Philip IV, welcher ihre zunehmende Macht und wohl
auch seine drückende Schuldenlast fürchtete, vernichtet wurden, fanden nicht wenige von Ihnen Unterschlupf im
Languedoc und dort im Hinterland von Pézenas. Das okzitanische Kreuz finden Sie heute an vielen Häusern,
Türen etc.; es sieht dem sogenannten Tatzenkreuz der Templer in manchen Darstellungen zum Verwechseln
ähnlich. - Theorien bzw. Spekulationen über das Fortbestehen des Templerordens beziehen sich auch auf das
Languedoc und sogar auf die Landschaft um Pézenas herum. Halten Sie ruhig ein wenig Ausschau nach den
Templern, aber träumen Sie bitte nicht von einem verborgenen Schatz. In Wahrheit wurden die Vermögenswerte
der Templer geregelt verteilt, z.B. profitierte der Johanniterorden in nicht unerheblichem Maß.
Sieht man Pézenas heute wie es seit Jahrhunderten kaum verändert am selben Fleck dasteht, so mag man
angesichts der groß gewachsenen Städte Montpellier, Béziers oder auch Agde und Sète kaum glauben, dass es
Pézenas war, das im 14., 15. und 16. Jahrhundert zu einer weit über die Region hinaus bedeutenden Kultur- und
Handelsstadt aufstieg, sowie zum politischen Zentrum für ganz Südfrankreich wurde. Aber genau so war es (!),
... mit dem Bistum von Agde als gelegentlichem Gegenspieler.
Südfrankreich wurde für den König von Pézenas aus verwaltet und regiert. Eine bedeutende Rolle hierbei spielte
das Adelsgeschecht der 'de Montmorency', das zwischen dem 11. und 16. Jahrhundert nicht weniger als sechs
Connétables von Frankreich (militärische Oberbefehlshaber) hervorbrachte. Dazu ein Dutzend Marschälle, etliche
Admiräle, Kardinäle, Ordensgroßmeister und Großoffiziere etc. (Heinrich der IV, - frz. König um 1600 / Edikt von
Nantes zum Religionsfrieden - sah in den 'von Montmorency' die wichtigste Familie Frankreichs nach den
Bourbonen).
Der Herzog des Languedoc, Heinrich II de Montmorency, Großadmiral und Vizekönig von Neu-Frankreich in
Übersee - soviel zur Bedeutung -, führte das Languedoc nach dem Fall der hugenottischen Hochburg La Rochelle
zum Aufstand (erinnern wir uns für einen Moment an die Katharer) und wurde 1632 von den Truppen des
Kardinal Richelieu geschlagen und hingerichtet. Pézenas verlor damit vorübergehend seine politischen Privilegien,
das Stadtschloss wurde dem Erdboden gleich gemacht. Nur das Tor steht an das Ereignis mahnend bis heute.
Schon eine Generation darauf aber, in der Zeit Ludwig XIV, gewann die Stadt Stellung und Privilegien als
Königsstadt zurück, allerdings ebenfalls nur vorübergehend. Es begann die Endphase der grossen Zeit. Diese
allerdings noch einmal mit einem kulturellen Paukenschlag. Der Bourbonenprinz Armand de Conti, ließ sich auf
dem vor den Toren der Stadt gelegenen Anwesen 'Grange des Prés' nieder, das er mütterlicherseits von der Linie
Montmorency geerbt hatte und hielt Hof, als befände man sich im Herzen des Staates. Gleichzeitig rang er als
Nachgeborener um eine persönliche politische Karriere, erst auf Seiten der Fronde (Partei, die sich gegen den
Krieg mit Spanien und den Habsburgern wandte, jedoch im Kern gesellschaftlich-sozial motivierte Ziele
verfolgte), später aber für den Hof in Paris. Er heiratet eine Nichte des Kardinal Mazzarin und wird schließlich
Gouverneur des Languedoc. Dies alles kommt der Stadt Pézenas zugute.
Zur selben Zeit jedoch hält sich eine andere, viel bedeutendere Persönlichkeit zwischen den Jahren 1647 - 1657
in der Region und immer wieder in der Stadt auf: Jean-Baptiste Poquelin, genannt Molière mit seinem illustren
Theater. Zunächst von dem Prinzen gefördert und später verstossen, entstehen in Pézenas bedeutende Werke
dieses vielleicht wichtigsten Künstlers der französischen Sprache und Urvaters der modernen bissigen Komödie
seit den Griechen der Antike. - Auf ihren Streifzügen durch die Stadt begegnet Ihnen Molière praktisch an jeder
Häuserecke. Schauen Sie bitte hin und erfühlen Sie es. Der Legende nach entdeckte Molière viele seiner späteren
Figuren im Laden seines Freundes, dem Barbier Gély, an der Place Gambetta (allerdings ist historisch nur
Pézenas belegt, nicht das heute gezeigte Haus). Er ging nach dem Zwerwürfnis mit Conti schließlich nach Paris
an den Hof und begann dort seine einzigartige, der Welt bekannte Karriere.
Für Pézenas setzte nach dem Tod von Armand de Bourbon (1666) eine Periode der Stagnation ein bei gleichzeitig
schleichendem Verlust an politischer und wirtschaftlicher Bedeutung. Ludwig XIV schätzte und besuchte die Stadt
zwar mehrmals und verweilte dabei jeweils im Hotel Lacoste, aber die große Zeit war endgültig vorbei. Orte wie
Montpellier und Béziers gewannen jetzt an Bedeutung und Größe hinzu, Pézenas geriet aus dem Blick. Was mit
der Zeit blieb war der Markt und die Erinnerung, groß oder klein, immer gleich und je nachdem empfunden. - -
So ist es bis auf den heutigen Tag geblieben und führt am Beginn des 21. Jahrhunderts wiederum zu einer
gewissen und wieder ganz neu empfundenen Faszination.
Im 18. Jahrhundert hinterlässt mit dem britischen Lord Clive (gilt als Eroberer Indiens für Großbritannien) ein
weiterer Besucher der Stadt ein in diesem Falle kulinarisches Vermächtnis, das sehr geschätzt wird, nämlich die
"Petit Paté de Pézenas" mit einer süß-sauren Füllung, welche der indische Koch jenes Briten erfand.
Als im 19. Jahrhundert die Eisenbahn die Transportwege und den Handel revolutioniert, wehrt sich die
Bevölkerung gegen eine Trassenführung direkt an der Stadt vorbei. Die Eisenbahn nimmt einen anderen Weg und
für Pézenas ist der Zug in die Moderne im wahrsten Sinne des Wortes vorerst abgefahren.
Der Ort bleibt also wie er seit Jahrhunderten war und konzentriert sich auf die Veränderungen und Entwicklungen
der allernächsten Umgebung. Der Ackerbau ist dem Wein als wichtigstem Faktor der Landwirtschaft gewichen; im
Hinterland wurde damit begonnen Oliven zu kultivieren. Man überdauert die Zeit in der Erinnerung an die Größe
der Vergangenheit und beginnt diese zu kultivieren; es entsteht z.B. ein klassizistisches Theater im Gebäude
einer ehemaligen Kirche. Die Comédie Francaise gibt häufige Gastspiele.
1907 beteiligt sich die Stadt an dem großen Weinaufstand, nachdem die Bauern der Region sich erst durch eine
aggressive Reblaus (ca. 1850) und später durch Überproduktion, Preisverfall und gepanschte Billigimporte um
ihre Existenz gebracht sehen und die Regierung nicht hilft. Das bislang letzte nationale Ausrufezeichen der Stadt
Pézenas setzt im 20. Jahrhundert der Schauspieler und Chansonier Boby Lapointe (1922 - 1972), welcher mit
seinem besonderen Sprachwitz in Frankreich für sich steht, jedoch eine gebrochene und mitunter leider tragische
Biographie aufweist. Sie werden ihn als ausländischer Besucher wahrscheinlich nicht kennen, er gehört in die
Generation von Liedermachern und Künstler um Georges Brassens, welcher seinerseits übrigens im nahen Sète
gelebt und gewirkt hat. Auch Grégogna, dessen Werk sich teilweise in unserem Haus Les Hirondelles befindet,
gehört dieser Generation an Künstlern der Region an, die sich aus der langen Kulturgeschichte und dem
Verständnis ihrer daraus entstandenen Identität begreift.
Zuletzt hat der Herausgeber und Literat Edmond Charlot (1915 - 2004) bis zu seinem Tod in der Altstadt von
Pézenas ein kleines Bücherantiquatariat betrieben. Charlot hat lange in Algerien gelebt und gilt als Entdecker und
Förderer von Albert Camus. Zwischen 1940 - 1980 hat er die politisch engagierte Zeitschrift "La France libre"
herausgegeben; zunächst als Widerstand gegen die deutsche Besetzung, später mit Themen für ein manchmal
anderes Frankreich.
Heute ist die Stadt mit ca. 8.500 Einwohnern der Hauptort des Verwaltungsgebietes (Kanton) "Pays de Pézenas".
In den vergangenen Jahren konnte sie mit der zunehmenden Bedeutung des Tourismus vor allem von ihrer
historischen Authentizität profitieren. Die Altstadt ist mit ihren in den Sommermonaten ungezählten Läden und
Ateliers für anspruchvolles Kunsthandwerk zu einem regelrechten Touristenmagneten geworden. Entlang der
ehemaligen Route Nationale sind eine Reihe von Restauratoren und Antiquitätenhändler angesiedelt und
schließlich ist der seit dem 13. Jahrhundert in Pézenas beheimatete Wochenmarkt am Samstag nach wie vor der
Bedeutendste seiner Art weit und breit. Er zieht Woche für Woche Tausende von Besuchern an.
Im 21. Jahrhundert nun ist Pézenas aufgrund des besonderen Verlaufs seiner Entwicklungsgeschichte zu einem
echten Schmuckkästchen im Herzen des Languedoc geworden, das uns ein Bild von der großen Kulturgeschichte
dieser Landschaft vermittelt.
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